20. 01. 2025
Preisvergleichsstudie: Das Schweizer öV-Angebot im internationalen Vergleich
Der Schweizer öV geniesst weit über die Landesgrenze hinaus hohe Beliebtheit. Gleichzeitig ereilt ihm den Ruf teuer zu sein – vor allem im Vergleich zum öV im Ausland. Aber stimmt das wirklich? Genau das hat die LITRA im Rahmen einer Preisvergleichsstudie durch das Forschungsbüro INFRAS untersuchen lassen und die Ergebnisse zeigen: Preislich gesehen liegt der öV in der Schweiz im europäischen Mittelfeld, aber qualitativ ist das Angebot hierzulande um Welten besser.
Der Schweizer öV, er bewegt: politisch, medial – und vor allem die Menschen in unserem Land. Seit vierzehn Quartalen in Folge gibt es ein ununterbrochenes Wachstum an Personenkilometern im Schweizer Schienenverkehr. «Dass die Schweiz das Bahn-Land schlechthin ist, wird auch in der europäischen Bahnfahrer-Statistik ersichtlich. In keinem anderen europäischen Land wird die Bahn so oft und weit genutzt wie in der Schweiz. Konkret legte im Jahr 2023 jede Einwohnerin und jeder Einwohner durchschnittlich 2’466 Kilometer auf der Schiene zurück und nutzte dabei die Bahn 68-mal», erklärt LITRA-Präsident Martin Candinas im Rahmen der Medienkonferenz zur Vorstellung der Ergebnisse aus der Preisvergleichsstudie 2024.
Qualitativ hochstehend, gut integriert und preislich lukrativ
Bereits zum fünften Mal hat die LITRA durch das Forschungsunternehmen INFRAS die öV-Preise und das öV-Angebot in der Schweiz mit Deutschland, Österreich, Frankreich, Italien, den Niederlanden und Grossbritannien vergleichen lassen. «Und hier schneidet die Schweiz einmal mehr gut ab, liegt preislich gesehen im europäischen Mittelfeld. Günstiger als in der Schweiz ist das Angebot in Italien, während Grossbritannien den mit Abstand höchsten Preis aufweist», sagt Martin Candinas.
Der LITRA-Präsident betont zudem, dass der Preis nur einer von vielen Faktoren sei, die zur Gesamtleistung eines öV-Systems beitragen. «Um ein Dienstleistungsangebot angemessen zu bewerten, reicht es nicht, lediglich Preise zu vergleichen. Entscheidender ist die Frage: Was bekomme ich für mein Geld? Komme ich beispielsweise jede halbe Stunde von Bern nach Zürich, oder nur zwei Mal am Tag? Diesbezüglich zeigt sich im internationalen Vergleich deutlich: die Angebotsqualität ist im Schweizer öV bedeutend besser als in anderen europäischen Ländern.»
In Sachen Angebotsqualität punktet die Schweiz vor allem mit einer hohen Netz- und Angebotsdichte sowie einer herausragenden Pünktlichkeit. Und nicht zuletzt ist der integrierte Ansatz ein zentrales Merkmal des öffentlichen Verkehrs in der Schweiz: «die Reiseangebote gehen von Tür zu Tür und die Kundinnen und Kunden benötigen nur ein einziges Ticket», erklärt Martin Candinas.
Ein Blick auf die europäische öV-Landkarte zeigt, dass das bei Weitem keine Selbstverständlichkeit ist. «Im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern, wo sich das öV-Angebot beispielsweise auf lukrative Hochgeschwindigkeitsstrecken zwischen Städten konzentriert, sind hierzulande auch ländliche Regionen bestens angebunden. Dieses ganzheitliche öV-System mit unterschiedlichen Verkehrsträgern in der Breite ist ein einzigartiges Merkmal des Schweizer öV-Systems.»
Vielreisende profitieren überall von besseren Preisen
Es verwundert demnach nicht, dass der Schweizer öV weit über die Landesgrenze hinaus einen guten Ruf geniesst. Gleichzeitig heisst es gerne der Schweizer öV sei teuer – viel teurer als im Ausland. Dass diese Pauschal-Aussage so nicht korrekt ist, unterstreichen die Ergebnisse der fünften LITRA-Studie «Angebot und Preise des Schweizer öV im internationalen Vergleich».
Bei den kaufkraftbereinigten Preisen der Bahnreisen liegt die Schweiz nämlich fast in allen Bereichen im europäischen Mittelfeld. Gleichzeitig fallen überall die preislichen Unterschiede bei der Reise-Frequenz auf; so bezahlen Gelegenheitsreisende in der Regel überall höhere Preise, während sich für tägliche Fahrten in den meisten Fällen ein Abonnement – GA, Strecken- oder Verbundsabo – lohnt. Für wöchentliche Fahrten hingegen erweist sich oft eine Kombination aus Einzelticket und einer Rabattkarte als die günstigste Option.
Tägliche Fahrten innerhalb einer Stadt
In der Schweiz sind tägliche Fahrten für Erwachsene innerhalb einer Stadt vergleichsweise günstig. Nur in Italien und Österreich kostet die Fahrt mit dem öV für regelmässige öV-Nutzende weniger. Für Jugendliche liegt die Schweiz preislich im oberen Mittelfeld. Am meisten bezahlen Erwachsene und Jugendliche in Grossbritannien.
Eher teuer ist der öV in der Schweiz für Seniorinnen und Senioren. Unter anderem liegt dies daran, dass nur in Lausanne spezifische Seniorentarife für regelmässige, beziehungsweise tägliche Fahrten angeboten werden. Demgegenüber gibt es in den meisten Städten – ausser in Rom und Zürich – vergünstigte Seniorentarife. Sehr preiswert können Seniorinnen und Senioren den öV in Grossbritannien und Österreich nutzen.
Fahrten innerhalb eines Metropolitanraums
Die Ticketpreise für tägliche Fahrten innerhalb eines Metropolitanraums liegen in der Schweiz für Erwachsene und Jugendliche im internationalen Vergleich im oberen Mittelfeld. Am teuersten sind tägliche Fahrten in Grossbritannien, gefolgt von den Niederlanden. Sehr günstig reisen Erwachsene in Österreich und Italien. Jugendliche reisen in Österreich und Frankreich besonders günstig.
In den meisten Metropolitanräumen ist ein Verbundabonnement die beste Wahl. Die Ausnahmen sind Amsterdam und London, wo das Streckenabonnement das günstigste Angebot ist. In Österreich ist das KlimaTicket und in Deutschland das Deutschlandticket das günstigste Angebot.
Fahrten zwischen zwei Städten
Für tägliche Fahrten zwischen zwei Städten liegen die Preise für Erwachsene in der Schweiz im Mittelfeld. Jugendliche hingegen reisen hierzulande eher günstiger als im europäischen Durchschnitt. Für tägliche Fahrten lohnt sich in der Schweiz der Kauf eines Generalabonnements, welches zur Nutzung des gesamten öV des Landes berechtigt. In Österreich (KlimaTicket) und den Niederlanden (Altijd vrij) stehen ebenfalls GA-ähnliche Pauschalausweise zur Verfügung, die für täglich Reisende die beste Option sind. In den restlichen Ländern sind Streckenabonnemente am vorteilhaftesten.
Für wöchentliche Geschäftsreisen hat die Schweiz im Vergleich zu den anderen Ländern das teuerste Angebot. Bei wöchentlichen Fahrten ist der günstigste Fahrausweis in fast allen Ländern ein Einzelbillett in Kombination mit einer Rabattkarte (keine Rabattkarte in Grossbritannien). Nur in Italien lohnt sich bei wöchentlichen Fahrten ein Streckenabonnement und in Österreich lohnt sich bereits bei wöchentlichen Fahrten das KlimaTicket.
Fahrten von der Stadt aufs Land
Wer in der Schweiz zweimal pro Monat mit dem öV von der Stadt aufs Land fährt, bezahlt als erwachsene Person im internationalen Vergleich einen günstigen Preis. Für Jugendliche sowie Seniorinnen und Senioren liegt der Preis im Mittelfeld. Die Spartageskarte mit dem Halbtax ist das beste Angebot für alle drei Segmente.
Am günstigsten reisen Personen in den Niederlanden. Mit dem Angebot «Weekend Vrij» sind Zugfahrten am Wochenende, abgesehen von einer Grundgebühr, kostenlos. Das teuerste Land für Reisen zwischen Stadt und Land ist über alle Segmente hinweg Italien.
Entwicklung der Preise
Insgesamt zeigt sich, dass die Preisgestaltung – zumindest auf den Fernverkehrstrecken – sehr dynamisch geworden ist. Tickets, die im Voraus gekauft werden, sind um einiges günstiger. Dafür sind diese Fahrkarten aber auch zuggebunden und Reisende verpflichten sich, zu einem fixen Zeitpunkt zu reisen. Für die Preisvergleiche wurde davon ausgegangen, dass Reisende ihr Ticket vier Tage im Voraus kaufen und sich zeitlich festlegen.
Preisveränderungen über die letzten Jahre können grundsätzlich auf zwei verschiedene Ursachen zurückgeführt werden: Preisanpassungen bei den Fahrkarten und Abonnemente sowie Währungsumrechnungen.
In den meisten Ländern sind die Preise für Jahresabonnements für Erwachsene in einer Stadt mehr oder weniger konstant geblieben. Deutschland verzeichnet zwischen 2021 und 2024 die grösste Veränderung. Mit dem Deutschlandticket sind die Preise für tägliche Fahrten deutlich gesunken. Die grössten Preisveränderungen für tägliche Fahrten in Metropolräumen für Erwachsene gab es in Deutschland und Österreich. Diese Veränderungen sind auf das Deutschlandticket sowie auf das KlimaTicket zurückzuführen.
Für Fahrten zwischen zwei Städten weisen Österreich und Italien für Erwachsene die grössten Veränderungen zwischen 2021 und 2024 auf. In Österreich sind die günstigeren Preise auf das KlimaTicket zurückzuführen, während in Italien ein neues Jahresabonnement eingeführt wurde. Für wöchentliche Geschäftsreisen zeigt zudem Grossbritannien eine deutliche Veränderung im Vergleich zum Jahr 2021: Die Ticketpreise sind stark gesunken. Diese Veränderung ist jedoch nicht auf ein neues Angebot zurückzuführen. Es ist anzunehmen, dass diese Entwicklung mit den sehr dynamischen Ticketpreise in Grossbritannien zusammenhängt.
Bei Fahrten von der Stadt aufs Land muss bei der Betrachtung der Zeitreihe berücksichtigt werden, dass die Preise insbesondere für diesen Reisetyp in allen Ländern sehr dynamisch sind. Die Veränderungen zwischen den Jahren lassen sich daher oft nicht direkt auf eine Preiserhöhung oder -senkung zurückführen, sondern hängen teilweise stark davon ab, wie stark die jeweiligen Züge bei den Preisabfragen bereits ausgelastet waren. Allerdings ist insbesondere in den Niederlanden ein klarer Trend zu sinkenden Preisen erkennbar.
Preis-Leistungs-Vergleich
Um nebst preislichen Unterschieden zwischen den Ländern auch qualitative Aspekte des öV berücksichtigen zu können, wurden in der LITRA-Preisvergleichsstudie vier Qualitätsindikatoren im Schienenverkehr analysiert:
- Pünktlichkeit (Fern- und Nahverkehr)
- Dichte des Zugangebotes
- Netzdichte (Schiene)
- Geschwindigkeit (Fernverkehr)
Mit Hilfe der vier Qualitätsindikatoren wurde die Qualität des Angebots in den Vergleichsländern bewertet. Maximal erreichbar sind pro Indikator 4 Punkte, beziehungsweise insgesamt 16 Punkte. Die Schweiz erreicht mit 12.4 die höchste Punktzahl. Bei der Pünktlichkeit, der Angebotsdichte und der Netzdichte liefert die Schweiz beste Qualität. Bezüglich der Geschwindigkeit belegt die Schweiz – vor den Niederlanden – dagegen den vorletzten Platz.
Setzt man die Qualitätspunkte des Angebots ins Verhältnis zu den Preisen, zeigt sich, dass die Schweiz im Vergleich zu den anderen Ländern ein ausserordentlich gutes Preis-Leistungs-Verhältnis aufweist. Trotz der sehr hohen Qualität sind die Preise für viele der betrachteten Reisetypen vergleichsweise günstig oder liegen im Mittelfeld.
Einfach einsteigen und losfahren
Neben einem breiten Angebot fördert auch ein einfaches Zugangs- und Bezahlsystem die Attraktivität des öffentlichen Verkehrs. In mehreren europäischen Staaten werden zurzeit innovative Modelle erprobt und implementiert. Oft nehmen dabei Schweizer Unternehmen eine zentrale Rolle ein. Diesen Erfahrungen helfen auch bei der Weiterentwicklung des Ticketings in der Schweiz.