26. 02. 2024
Zeitungsartikel: Mehr ÖV in der Mobilität der Zukunft
In der aktuellen Ausgabe der Konsumentenstimme, dem Kundenmagazin von Comparis, erklärt Martin Candinas, Präsident LITRA, wieso es für die Verkehrspolitik wichtig ist, dass wir die hohe Qualität unserer Verkehrsinfrastrukturen auch in Zukunft aufrechterhalten und wie wir die sich ändernden Mobilitätsbedürfnisse befriedigen können.
Beurteilungen der Kostenwahrheit im Verkehr sind komplex, weshalb die Diskussionen dazu eher akademisch oder philosophisch geprägt sind. Im ÖV besteht rund die Hälfte des Angebots auf der Strasse, doch vier Fünftel der ÖV-Nutzung (in Personenkilometern) erfolgt auf der Schiene.
Dies verdeutlicht, dass die Massentransportmittel des ÖV ein Gesamtsystem bilden, vom Fern- über den Regional- bis hin zum Ortsverkehr. Dabei ist die Finanzierung unterschiedlich geregelt: Während der Fernverkehr eigenfinanziert ist, werden der Regional- und Ortsverkehr im schweizerischen Durchschnitt zu 50 Prozent von den Nutzenden und zu 50 Prozent durch die öffentliche Hand finanziert. Die Bahninfrastruktur wird durch die öffentliche Hand bezahlt.
Dieses ÖV-Gesamtsystem funktioniert in der Schweiz hervorragend. So sind wir seit vielen Jahren Europameister im Zugfahren. Der Regionalverkehr bringt die Leute in den Orts- und Fernverkehr und umgekehrt. Dafür braucht es unabhängig vom Verkehrsträger nur ein Ticket für eine Reise – worum uns das Ausland beneidet. Dank des Taktfahrplans sind regelmässige Verbindungen garantiert – und dies flächendeckend in der ganzen Schweiz. Oftmals muss der Fahrplan nicht angeschaut werden, sondern man kann bequem in den nächsten Bus oder Zug einsteigen. Dieses optimal abgestimmte System hat seinen Preis, ist aber insgesamt in Politik und Bevölkerung sehr geschätzt.
Natürlich heisst das nicht, dass die Kosten und die ÖV-Preise in der Politik keine Rolle spielen sollen. Unsere Verkehrsinfrastrukturen sind bewusst auf die Spitzen ausgelegt. Im Durchschnitt liegt die Auslastung im ÖV denn auch bei nur etwa 30 Prozent. Es muss uns in Zukunft deshalb besser gelingen, diese Auslastung zu erhöhen. Unsere Infrastrukturen und ÖV-Angebote müssen dank verstärkter Anstrengungen besser genutzt werden. Gerade im Freizeitverkehr gibt es viel Potenzial für mehr ÖV. Die Nutzerinnen und Nutzer sollen so einen grösseren Teil der Kosten im ÖV tragen.
Der ÖV ist als Massentransportmittel effizient und platzsparend. So spielt er raumplanerisch eine zentrale Rolle und trägt dazu bei, dass die Staustunden in der Schweiz nicht noch höher sind. Dies macht den ÖV insbesondere für lange Distanzen und in urbanen Gebieten sehr attraktiv. Hier muss er in Zukunft eine noch wichtigere Rolle erhalten und einnehmen. Niemand darf eigentlich ein Interesse daran haben, dass heute über 70 Prozent der Verkehrsleistung in der Schweiz durch den MIV erfolgen. Aus Sicht des ÖV müssen folglich die Schnittstellen zum Auto deutlich verbessert werden, beispielsweise mit bahnhofsnahen, gut geplanten Verkehrsdrehscheiben. Unsere gelebte Gegenwart ist bereits heute multimodal. Diese multimodale Mobilität gilt es stetig weiterzuentwickeln und zu verbessern, mit einer starken Rolle für den ÖV.
Schliesslich gilt es festzuhalten, dass heute fast alle Treibhausgas-Emissionen im Verkehrsbereich durch den MIV erfolgen. Zwar ist die Elektrifizierung des MIV in vollem Gang, doch wird diese kein Spaziergang werden. E-Infrastrukturen müssen aufgebaut werden, was umfangreiche Investitionen in den verschiedensten Bereichen bedingt. Dies zeigt: Eine akademisch oder philosophisch geprägte Diskussion rund um die Kostenwahrheit im Verkehr wird uns politisch nicht weiterbringen. Gefragt sind pragmatische Lösungen, damit der ÖV in der Mobilität der Zukunft eine noch bedeutendere Rolle einnehmen kann, wir ein gut funktionierendes Gesamtverkehrssystem in der Schweiz haben und bis 2050 das Netto-Null-Ziel erreichen können. Brauchen werden wir weiterhin alle Verkehrsträger: möglichst optimal kombiniert, möglichst preiswert sowie möglichst energieeffizient und emissionsarm – und zu guter Letzt von den Nutzerinnen und Nutzern breit akzeptiert und geschätzt. Daran müssen wir gemeinsam arbeiten!
Der Beitrag wurde veröffentlicht in der Konsumentenstimme 01/2024. Die aktuelle Ausgabe der Publikation können Sie hier herunterladen. Weiterführende Informationen zum Magazin finden Sie auf der Website von Comparis.