19. 01. 2018

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19. 01. 2018

Warum die Akzeptanz so wichtig ist: Mobility Pricing im Vergleich mit dem Ausland

Mobility Pricing soll in der Schweiz in Form einer Wirkungsanalyse im Kanton Zug geprüft werden. Für einen Pilotversuch ist die Zeit noch nicht reif. Doch wo genau liegen die Umsetzungsprobleme von Mobility Pricing und wo wurden damit schon mehr Erfahrungen gesammelt? Darüber schreibt unser externer Redaktor Marc Vetterli im LITRA-Blog.

Autor: Marc Vetterli

Bis 2040 werden gemäss der Prognose des Bundes die Passagierzahlen im öffentlichen Verkehr um über 50 % zunehmen. Nicht anders sieht es im Strassenverkehr aus: Die Anzahl Fahrzeuge und damit die Staustunden nehmen jährlich zu und Besserung ist nicht in Sicht. Denn die Verkehrsinfrastruktur ist nur während wenigen Stunden pro Tag an ihrer Kapazitätsgrenze und insbesondere das Rollmaterial auf der Schiene ist auch zu den Spitzenzeiten nur zu rund einem Drittel belegt. Das erhöht die Systemkosten massiv und führt dazu, dass teure Infrastrukturausbauten nötig sind, die mit einer gleichmässigen Auslastung hinfällig würden. Die Einführung einer benützungsbezogenen Abgabe für die Infrastrukturnutzung (Mobility Pricing) stösst jedoch nach wie vor auf massiven Widerstand von allen Seiten. Mit einer solchen könnten die Nachfrageschwankungen verringert werden.. Woran liegt das und wie hat die Einführung im Ausland funktioniert (ASTRA 2016; Müller-Jentsch 2013b)?

Nach Einführung grosse Zustimmung

Als in Stockholm im Jahr 2003 die Regierung eine sogenannte Citymaut einführen wollte, war ein Grossteil der Bevölkerung dagegen. Die Citymaut sollte dafür sorgen, dass je nach Tageszeit die Fahrt in die Stadt teurer wird. Dies stellt zwar nicht ein umfassendes Mobility Pricing dar, war als Congestion Charging mit nachfrageabhängigen Preisen aber trotzdem ein Pionierprojekt. 2006 wurde das System zu Testzwecken für sechs Monate installiert. Nach diesem Test wurde ein konsultatives Referendum abgehalten und eine knappe Mehrheit der Stadtbevölkerung stimmte ja, während die Landbevölkerung nach wie vor dagegen war. Weil das konsultative Referendum aber keine bindende Wirkung entfaltet hat, konnte das System trotzdem eingeführt werden. Die Zustimmung zum System ist seit der Einführung stetig gestiegen und liegt mittlerweile bei 65 bis 70 Prozent, so dass keine politische Partei die Abschaffung befürworten würde. Die Staus verringerten sich am Morgen um 30 Prozent und am Abend sogar um 50 Prozent, während die ÖV-Nutzung zunahm. Die Citymaut in Stockholm gilt deshalb als Erfolg (Müller-Jentsch 2013a).

Abb. 1: Zustimmung zum Road Pricing im Zeitverlauf (Quelle: (Müller-Jentsch 2013a))

Vorreiter Singapur

Erfolgreich wurde Mobility Pricing auch in Singapur eingeführt. Der Stadtstaat ist ein Vorreiter und hat bereits in den 1970er-Jahren die ersten Mautstellen eingeführt, die abhängig von Tageszeit, Strecke und Fahrzeug unterschiedliche Mautbeträge verlangten. Mittlerweile hat der Stadtstaat ein vollautomatisches Mautsystem, bei dem im Fahrzeug eingebaute Geräte automatisch registrieren, wenn das Fahrzeug eine Mautstelle passiert. Im öffentlichen Verkehr erhält man beim Benutzen der U-Bahn ausserhalb der Hauptverkehrszeiten Rabatte. Zudem erhalten PendlerInnen und Pendler, die ausserhalb der Stosszeiten pendeln Gutschriften, mit denen sie zum Beispiel in Supermärkten einkaufen können. Singapur belohnt daher jene, die das System entlasten, bestraft die anderen aber nicht. Und das Metrofahren in Singapur ist so komfortabel wie in der Schweiz: Mit nur einer Chipkarte können alle Verkehrsmittel benutzt werden: U-Bahn, Bus, Taxi und sogar die Maut fürs Autofahren kann bezahlt werden. In Singapur hat die Regierung zudem die grundlegende Schwachstelle von zonenbasierten Mautsystemen behoben: Wer sich innerhalb einer Zone, also zum Beispiel dem Stadtzentrum bewegt, zahlt keine Gebühren. Deshalb bereitet die Regierung bis 2018 ein neues System vor, bei dem die gesamte Fahrt per GPS erfasst wird und so ein exakter Preis berechnet werden kann. Die Folge: In Singapur sind Staus praktisch inexistent (Kauffmann Bossart 2013).

Abb.2 : Mautstelle in Singapur (Quelle: https://en.wikipedia.org/wiki/Electronic_Road_Pricing)

Kritische Mitsprache und Umsetzung

Das Problem ist jedoch, dass sowohl in Stockholm, als auch in Singapur die Bevölkerung keine Möglichkeit hatte, sich zur Einführung von Mobility Pricing per Abstimmung zu äussern. Denn Mobility Pricing, das von der Bevölkerung vor der Einführung akzeptiert wurde, ist weltweit sehr selten, sagt Thomas Sauter-Servaes, Leiter des Bachelorstudiengangs Verkehrssysteme und Mobilitätsforscher an der ZHAW.
Dass Mobility Pricing derzeit fast keine politische Unterstützung findet, liegt auch an einer fehlenden Einigkeit darüber, wie und welches System eingeführt werden soll. Denn im Vergleich zu einem Congestion Charging ist Mobility Pricing viel komplexer. Bei einem Congestion Charging, wie es in Stockholm existiert, muss lediglich beim Zoneneintritt eine Gebühr erhoben werden. Im Gegensatz dazu erfordert Mobility Pricing viel umfassendere Datengrundlagen, zumal es sowohl den MIV als auch den ÖV miteinbezieht und je nach Ausgestaltung auch nicht zonenbasiert ist. Schlussendlich muss jede Fahrt exakt abgerechnet werden können, damit ein umfassendes Mobility Pricing eingeführt werden kann. Im öffentlichen Verkehr wäre dies theoretisch mit dem heutigen System möglich. Eine Umstellung von Papiertickets auf digitale Karten, welche eine Fahrt mittels Sensoren automatisch erfassen, würde das System aber erheblich vereinfachen. Beim motorisierten Individualverkehr ist ein Mobility Pricing schon einiges komplexer: Wird via GPS,mit zahlreichen Mautstellen oder mit einer Kennzeichen-Erfassung gemessen? Wie steht es um den Datenschutz? All diese Fragen stellen potentielle Stolpersteine dar und verhindern, dass sich eine wirkliche Diskussion entwickeln kann. Je umfassender dabei das Mobility Pricing, desto schwieriger die Umsetzung.
«Nicht Mobilität, sondern Verkehr soll eingeschränkt werden»
Gemäss Thomas Sauter-Servaes liegt einer der wesentlichen Unterschiede zwischen der Schweiz und dem Ausland zudem beim Wohlstandsniveau: «Will man wirklich lenken, müssen die Preise sehr hoch sein. Das schwächt jedoch die Akzeptanz». Zudem gelte es die Sozialverträglichkeit zu beachten. Bei einem Mobility Pricing besteht das grundsätzliche Problem, dass einkommensschwache Personen diskriminiert werden, weil sie es sich nicht mehr leisten können, ihre Mobilität zu bezahlen. Aber: «Nicht die Mobilität, sondern der Verkehr soll eingeschränkt werden. Das bedingt aber die Verfügbarkeit von attraktiven Angeboten im Nah- und zukünftig auch im virtuellen Raum» meint dazu Sauter-Servaes. Dazu müssten auch Alternativen im Langsamverkehr gefördert werden. Nur so könne das Velo oder der Fussweg eine Alternative zu überlasteten Strecken bieten (Vetterli 15.11.2017).
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Literaturverzeichnis
ASTRA (2016): Strassen und Verkehr. Eintwicklungen, Zahlen, Fakten. ASTRA 2016. Bundesamt für Strassen ASTRA.
Eichenberger, Reiner (2002): Road Pricing in Saas Fee. Seminararbeit. Universität Fribourg, Fribourg. Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät.
Kauffmann Bossart, Marco (2013): Smart Traffic in Singapur. Avenir Suisse. In: Schweizer Monat, Oktober 2013.
Müller-Jentsch, Daniel (2013a): Der Ring. Auch der Nichtstau hat seinen Preis: die smarte Citymaut in Stockholm. Avenir Suisse. In: Schweizer Monat, Oktober 2013.
Müller-Jentsch, Daniel (2013b): Warum die Schweiz ein Mobility Pricing braucht. In: Die Volkswirtschaft, Dezember 2013.
Vetterli, Marc (15.11.2017): Mobility Pricing im Vergleich mit dem Ausland. Interview mit Tomas Sauter-Servaes. Rapperswil.