15. 03. 2024
15. 03. 2024
Sessionsveranstaltung: «Es ist wichtig, dass das Zusammenspiel Strasse und Schiene auch in Zukunft gut funktioniert.»
Was bedeutet die Einführung der neuen Ersatzabgabe für die Schweizer Mobilität? Wie soll die Finanzierung der Strasseninfrastruktur langfristig sichergestellt werden? Und welche Bedeutung hat eine nachhaltig finanzierte Strasseninfrastruktur für den öffentlichen Verkehr? Rund 100 Teilnehmende trafen sich am 14. März im Bellevue Palace in Bern zur ersten Sessionsveranstaltung der LITRA im Jahr 2024.
Für die meisten von uns gehört die technologische Entwicklung der letzten Jahre fest zu unserem Leben. Wir haben uns an Dinge gewöhnt, die vor ein paar Jahren noch undenkbar gewesen wären. Das gilt auch für die Mobilität. Auch hier hat die Digitalisierung in den letzten Jahren viel bewegt. Trotz rasant voranschreitender technologischer Entwicklung wird die Mobilität aber stets auf eine physische Infrastruktur angewiesen sein.
Wie gelingt dieser Spagat zwischen analoger und digitaler Welt? Wie schaut die Mobilität der Zukunft aus? Und vor allem, wie kann diese angesichts der kommenden Elektrifizierung des Verkehrssektors nachhaltig finanziert werden? Diesen Fragen widmeten sich rund 100 Teilnehmende der LITRA-Sessionsveranstaltung im Rahmen der Frühjahrssession der eidgenössischen Räte in Bern.
Zusammenspiel Strasse und Schiene immer wichtiger
In seinen einleitenden Worten betonte LITRA-Präsident Martin Candinas, wie wichtig Mut und Weitsicht in den Mobilitätsdebatten seien. «Bei Diskussionen zu langfristigen Themen ist es hilfreich daran zu denken, dass sich viele Aspekte in unserem täglichen Leben in den nächsten Jahren verändern können.» Neben der technologischen Entwicklung, die unseren Alltag massgeblich mitbestimmt, untersteht auch unser Mobilitätsverhalten einem steten Wandel.
So nutzen beispielsweise immer mehr Menschen den öffentlichen Verkehr – das zeigen die Quartalszahlen Bahn – und auch die Nachfrage nach Kombinationsmöglichkeiten unterschiedlicher Verkehrsträger steigt. «Wir waren noch nie so mobil wie im letzten Jahr – zwar etwas weniger für die Arbeit, dafür umso mehr in der Freizeit. Die meisten von uns leisten sich für ihre Mobilität verschiedene Verkehrsmittel, je nach Bedürfnis und oftmals kombiniert», erklärte Martin Candinas. Kein Wunder also werden Veränderungen im Verkehrsbereich stets emotional diskutiert – sie betreffen uns alle.
Das sich wandelnde Mobilitätsverhalten verbunden mit der zunehmenden Elektrifizierung der Verkehrsträger hat aber nicht nur Einfluss auf die Nutzung der Verkehrsinfrastrukturen, sondern auch auf deren Finanzierung. Klar ist, der Spardruck nimmt zu. Davon werden auch die Verkehrsinfrastrukturen nicht verschont bleiben. «Zwar ist die Finanzierung der Strassen- und Schieneninfrastrukturen über zwei Fonds gesichert, doch kam es bereits im letzten Jahr zu Kürzungen bei den Einlagen in den Bahninfrastrukturfonds», erklärte Martin Candinas.
Und auch der Druck auf die Finanzierung der Strasseninfrastruktur wächst. So sinken die Einnahmen aus den Mineralölsteuern mit zunehmender Verbreitung von Fahrzeugen mit elektrischem Antrieb. Das hat Einfluss auf die Finanzierung der Strasseninfrastruktur und damit auch auf den öffentlichen Verkehr. Über die Hälfte des regionalen Personenverkehrs erfolgt auf der Strasse. «Es ist wichtig, dass das Zusammenspiel Strasse und Schiene auch in Zukunft gut funktioniert. Das bedingt eine solide, nachhaltig gesicherte Finanzierung beider Infrastrukturen», betonte Martin Candinas.
Gleichwertige Abgabe für alle
Wie sich die technologische Entwicklung auf die Finanzierung der Strasseninfrastruktur auswirkt, zeigte anschliessend Dr. Vivian Welten, Mitglied der Geschäftsleitung des Bundesamts für Strassen (ASTRA), in ihrem Gastreferat. «Mit der zunehmenden Verbreitung von Elektroautos und anderen Fahrzeugen mit alternativem Antrieb sinken die Einnahmen aus den Mineralölsteuern.» Das ist insofern relevant, als dass die Mineralölsteuer die wichtigste Einnahmequelle für die Spezialfinanzierung Strassenverkehr (SFSV) und den Nationalstrassen- und Agglomerationsverkehrs-Fonds (NAF) darstellt.
Die steigende Anzahl elektrischer Fahrzeuge auf Schweizer Strassen hat entsprechend nicht nur Einfluss auf die Umweltbilanz unserer Mobilität, sondern auch auf die langfristige Finanzierung unserer Verkehrsinfrastruktur. «Das bestehende Tarifmodell wird auf Dauer nicht mehr ausreichen, um den Finanzbedarf zu decken. Wir brauchen neue Ideen und Modelle», betonte Dr. Vivian Welten.
Um die Finanzierung der Strasseninfrastruktur langfristig sicherzustellen, plant der Bundesrat bis spätestens 2030 die Einführung einer Ersatzabgabe für Fahrzeuge mit alternativem Antrieb. Die Eckwerte dafür hat er bereits 2022 festgelegt. Nun geht es um die Ausarbeitung der Bemessungsgrundlage für die Ersatzabgabe. Aktuell werden zwei Ansätze im Detail geprüft. Einerseits besteht die Möglichkeit, die Abgabe nach zurückgelegter Fahrleistung (Kilometer) zu bemessen. Andererseits könnte der Stromverbrauch (Kilowatt) genutzt werden.
Beide Tarifmodelle haben Vor- und Nachteile, wie Dr. Vivian Welten erläuterte. «Entscheidend für die Wahl des Tarifmodells wird sein, dass Halter von Elektrofahrzeugen möglichst eine gleichwertige Abgabe bei Elektrofahrzeugen entrichten, wie dies bei Benzin- und Dieselfahrzeugen der Fall ist. Das entspricht unserem Prinzip der Gleichbehandlung und stellt gleichzeitig die Finanzierung unserer Verkehrsinfrastruktur sicher.»
Zwischen Fairnessprinzip, Datenschutz und viel Emotionalität
Klar, dass das Thema der Finanzierung bewegt. Entsprechend rege zeigten sich die Teilnehmenden der LITRA-Sessionsveranstaltung in der anschliessenden Podiumsdiskussion. Gemeinsam mit ASTRA-Direktor Jürg Röthlisberger diskutierte LITRA-Geschäftsführer Michael Bützer weitere Fragen rund um die geplante Ersatzabgabe. Neben verschiedenen Aspekten zur Umsetzung und Abrechnungsgrundlage interessierte die Thematik des Datenschutzes.
Gerade beim Tarifmodell, welches eine Abrechnung nach gefahrenen Kilometern vorsieht, stellen sich viele Autofahrerinnen und Autofahrer die Frage, wie diese Daten erhoben werden und vor allem, welche Daten aufgezeichnet werden sollen. Umgekehrt stellt sich bei der Abrechnung nach Stromverbrauch die Frage, wie dies in privaten Haushalten umgesetzt werden kann. Die Mineralölsteuer wird bei der Tankstelle erhoben, eine Grosszahl der elektrischen Fahrzeuge wird jedoch zuhause geladen.
Nicht zuletzt nahmen sich Jürg Röthlisberger und Michael Bützer auch verschiedener Themen im Zusammenhang mit dem öffentlichen Verkehr an. Was bedeutet eine neue Ersatzabgabe für den Strassen-öV in der Schweiz? Wer wäre betroffen, wer von einer solchen Abgabe befreit? Fragen, die die zahlreichen interessierten Besucherinnen und Besucher aus der Politik und der Mobilitätsbranche auch nach dem offiziellen Anlass im Rahmen des LITRA-Apéros noch intensiv weiter diskutierten.
Ausschliesslichkeit ist kein Ansatz für die Mobilität der Zukunft. Sie verlangt das Miteinander und die Vernetzung.
Die Zukunft der Mobilität ist smart. Die Nutzerinnen und Nutzer werden die verschiedenen Mobilitätsformen künftig noch bewusster kombinieren, werden vorbehaltlos ihren jeweiligen Bedürfnissen und Möglichkeiten entsprechend zu Fuss gehen, das Velo, das Auto, den Bus oder den Zug benutzen. Unser Ziel muss sein, die Potenziale der beiden Megatrends Dekarbonisierung/Elektrifizierung und der Digitalisierung/Automatisierung zügig zu erschliessen und damit die Mobilität verträglicher, noch sicherer und weiterhin breit verfügbar zu gestalten. Gastbeitrag von Jürg Röthlisberger, Direktor Bundesamt für Strassen (ASTRA).
Gastbeitrag von Jürg Röthlisberger, Direktor Bundesamt für Strassen (ASTRA)