03. 12. 2019

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03. 12. 2019

Kosten und Nutzen des öffentlichen Verkehrs. Der Fall Genf.

Seit Anfang der 2000er Jahre setzt sich die Verkehrspolitik für eine Verlagerung des Modalsplits ein. Das Auto als unverzichtbares Fortbewegungsmittel - dieses Paradigma verschwindet jedoch nicht so schnell. In der Schweiz ist der Motorisierungsgrad nach wie vor sehr hoch, und ein grosser Teil der Haushalte sieht die uneingeschränkte Nutzung des Autos als wesentlichen Bestandteil ihres Lebensstils. Welchen Nutzen stiftet da der öffentliche Verkehr? Marc-Edouard Schultheiss fasst die Ergebnisse einer Studie aus Genf zusammen.

Die Genfer Verkehrsbetriebe «Transports Publics Genevois» (TPG) decken 15,5 % der Fahrten im Kanton Genf ab[1]. 2018 betrieben sie 4 Strassenbahnlinien, 6 Trolleybuslinien, eine TOSA-Linie (E-Gelenkbus ohne Oberleitungen)[2] und mehr als 50 regionale Ortsbuslinien. Die Genfer Verkehrsbetriebe (TPG) erhalten Abgeltungen vom Kanton Genf, vom Bund und den Gemeinden. Diese Beiträge decken rund 60 % der Betriebskosten[3], sichern die reibungslose Funktion des Netzes und erlauben einen Ausbau des Angebots.

Was genau kostet der Verkehr?

Von Kraftstoffsteuer an der Tankstelle, Zulassung, Versicherungen, Parkgebühren bis hin zu Abonnements für öffentliche Verkehrsmittel – der Preis der Mobilität ist nicht leicht zu bestimmen.

Das Bundesamt für Statistik schätzt die monatlichen Fahrtkosten auf 770 Schweizer Franken[4], d. h. etwa 10 % der Gesamtausgaben eines Haushalts. Die «Nutzer-Kosten» belaufen sich somit auf 22 Rappen[5] pro Person und Kilometer. Im Vergleich zu anderen Verkehrsmitteln ist dieser Preis relativ niedrig und beträgt vor allem nur die Hälfte der Kosten pro Kilometer eines Autos (siehe Abb. 1).


Abbildung 1: Durchschnittliche Kosten der Nutzung der verschiedenen Verkehrsmittel in Genf [6].

Für die Betreiber öffentlicher Verkehrsmittel sind die Betriebskosten deutlich höher. Im Durchschnitt kostet ein Nutzer öffentlicher Verkehrsmittel den Betreiber 1,98 Franken pro Fahrt (von denen 1,20 Franken durch Abgeltungen gedeckt sind).

Die Verkehrsmittel verursachen darüber hinaus auch indirekte Kosten, die selten berücksichtigt werden, aber auf gesellschaftlicher Ebene nicht zu vernachlässigen sind. Es handelt sich dabei um negative externe Effekte der verschiedenen Verkehrsmittel[7] (wie in Abb. 2 erläutert). Der motorisierte Individualverkehr ist dabei aufgrund seines geringen Auslastungsgrades die Hauptquelle.

Abbildung 2: Externalitäten öffentlicher Verkehr

Positive Effekte des öffentlichen Verkehrs

Das Büro für Sozialstudien Mobil’homme hat ein Modell erstellt, das die sozialen Kosten der Mobilität und den Nutzen insbesondere des öffentlichen Verkehrs aufzeigt. Das in der Schweiz einzigartige Modell berücksichtigt eine Vielzahl von Faktoren, wie die Anzahl der Fahrten in einem Gebiet und die Betriebskosten pro Kilometer, um so die sozialen Kosten der Mobilität zu quantifizieren und die Externalitäten monetär zu bemessen. Auf diese Weise war es möglich, die Auswirkungen einer zusätzlichen Investition von einer Million Franken als Subvention für die Genfer Verkehrsbetriebe (TPG) zu simulieren.

Abbildung 3: Beurteilung der Nutzen einer Investition von 1 Mio. CHF in den öffentlichen Verkehr

Senkung der mit der Mobilität verbundenen Ausgaben

In Bezug auf die Verkehrsanteile zeigt die Simulation einen leichten Anstieg der Nutzung des öffentlichen Verkehrs, insbesondere von umsteigenden Autofahrern und Fussgängern. Da die Kosten pro Kilometer und Person bei einer Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel geringer sind (siehe Abb. 1), spüren die ehemaligen Autofahrer als unmittelbaren Effekt, dass sich ihr Gesamtbudget für Mobilität reduziert. Es sei ausserdem darauf hingewiesen, dass laut UVEK Staus auf Schweizer Strassen jährliche Kosten von 1,6 Mrd.[8] Franken verursachen.

Aufwertung der Fahrzeit

Darüber hinaus sind die Auswirkungen von Zeitgewinn oder Zeitverlusten bei den unternommenen Fahrten nicht unerheblich. Insbesondere Personen, die zuvor motorisiert waren, werden für eine bestimmte Strecke mehr Zeit in öffentlichen Verkehrsmitteln verbringen, können nun jedoch mehr als nur fahren und die Zeit nutzen, um zu arbeiten, sich auszuruhen oder zu unterhalten. Den Bus oder die Strassenbahn anstelle des Autos zu nutzen bedeutet daher eine erhebliche Aufwertung der Fahrzeit. Abb. 4 zeigt den Wert der Fahrzeit je Verkehrsmodus gemäss Bundesamt für Raumentwicklung (ARE), noch ohne dabei die Staukosten zu berücksichtigen.

Abbildung 4: Zeitwert pro Verkehrsträger [9]

Nutzen für Umwelt und Lebensqualität

Die Studie schätzt ausserdem, dass für jede Million Franken, die investiert wird, 86 Autos weniger auf den Strassen von Genf unterwegs sind. Weniger Fahrzeuge auf den Strassen bedeutet weniger Energieverbrauch für die Herstellung von Fahrzeugen (graue Energie). Neben reduzierten Umweltbelastungen trägt der öffentliche Verkehr auch zu einer höheren Lebensqualität in der Stadt bei: mehr Platz für Fussgänger, weniger Lärm und weniger Unfälle.

Die Studie zeigt somit, dass es sinnvoll ist, in den öffentlichen Verkehr zu investieren. Unter Berücksichtigung aller Auswirkungen auf unsere Städte würde eine zusätzliche Investition von 1 Mio. Franken einem Nutzen von 1,8 Mio. Franken für die Gesellschaft entsprechen. Darüber hinaus ist ein Netzausbau eine Investition in die Zukunft. Laut Referenzszenario des Bundes wird die Schweiz 2045 über 10 Mio. Einwohner haben. Nur der öffentliche Verkehr wird die Strassenkapazität ausreichend steigern können, um den wachsende Bedarf an Mobilität zu decken.

Der Artikel basiert auf einer Studie, die im Auftrag der transports publics genevois durch Mobil'homme erstellt wurde. Die Studie zum Herunterladen finden Sie hier (auf Französisch). Mobil’homme ist ein Spin-off des ‚Laboratoire de sociologie urbaine (LaSUR)’ der ETH Lausanne (EPFL). Das Büro erstellt Sozialstudien zum Aspekt der Nutzung in den Bereichen Stadtentwicklung und Mobilität.

Quellen

[1] Mikrozensus 2015, Bundesämter für Raumentwicklung und Statistik

[2] http://www.tpg.ch/web/guest/tosa

[3] Laut Mobil’homme-Studie, 2019

[4] Zahlen aus der Haushaltsbudgeterhebung 2018 des BFS: https://www.bfs.admin.ch/bfs/fr/home/statistiques/situation-economique-sociale-population/revenus-consommation-et-fortune/budget-des-menages.assetde- tail.1400469.html

[5] Schätzung auf Basis der von den Nutzern gezahlten Transportentgelte (Fahrkarten und Abonnements) und zurückgelegten Kilometern.

[6] Erhebung auf Basis der vom Bundesamt für Statistik zur Verfügung gestellten Kilometerkosten, ohne Berücksichtigung der durch Unfälle verursachten Kosten. https://www.bfs.admin.ch/bfs/fr/home/statistiques/mobilite-transports/couts-financement/route-mobilite-douce.assetdetail.2962963.html. Die Kosten der motorisierten Zweiräder sind aufgrund ihrer geringen Auslastungsrate sehr hoch.

[7] https://www.are.admin.ch/are/fr/home/transports-et-infrastructures/bases-et-donnees/couts-et-benefices-des-transports.html

[8] https://www.uvek.admin.ch/uvek/fr/home/detec/medias/communiques-de-presse.msg-id-62360.html

[9] Der «Zeitwert» ist der Betrag, den eine Person bereit ist zu zahlen, um Fahrzeit einzusparen. Die berücksichtigten Werte stammen aus einem Bericht des Bundesamts für Raumentwicklung (ARE):