12. 02. 2024

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12. 02. 2024

Gastbeitrag: Ein Hochleistungsnetz für Deutschland und Europa

Das Reisen mit der Bahn wird immer beliebter. Eine gute und wichtige Entwicklung, nicht zuletzt, wenn wir unsere Klimaziele erreichen wollen. Aber was passiert, wenn eine steigende Nachfrage auf eine Infrastruktur trifft, die diesen Anforderungen nicht mehr gewachsen ist? Und wie baut man das Hochleistungsnetz der Zukunft? Dr. Richard Lutz, Vorsitzender der Deutschen Bahn, gibt uns einen spannenden Einblick in eines der bedeutendsten Bahn-Projekte im Herzen Europas.

Von Dr. Richard Lutz, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bahn AG

Das Hochleistungsnetz der Zukunft: Die Deutsche Bahn arbeitet an der Vision einer hochleistungsfähigen Infrastruktur im Herzen Europas – Schritt für Schritt bis 2030. © Deutsche Bahn AG

Es ist eine erfreuliche Nachricht: Der klimafreundliche Verkehr auf der Schiene wächst. Rund 51’000 Personen- und Güterzüge fahren heute täglich durch Deutschland. Bis 2030 sollen es ein Viertel mehr sein.

Die steigende Nachfrage trifft in Deutschland allerdings auf eine Infrastruktur, auf Bahnhöfe und ein Streckennetz, die diesen Anforderungen nicht mehr gewachsen sind. Während die Betriebsleistung auf dem Netz seit der Bahnreform im Jahr 1994 um 27 Prozent stieg, ist die Länge des Streckennetzes um 15 Prozent zurückgegangen. Die Infrastruktur hat daher heute in vielen Teilen zu wenig Kapazität. Gleichzeitig ist sie zu alt und zu störanfällig. Das ist aktuell die grösste Herausforderung. Über viele Jahre standen keine bedarfsgerechten Mittel für den Bestandserhalt zur Verfügung. Insgesamt wurde in Deutschland zu wenig in die Infrastruktur investiert.

In den letzten Jahren hat der Bund zwar sein Engagement schon deutlich erhöht. Im internationalen Vergleich zeigt sich aber weiter grosser Aufholbedarf. So lagen die Pro-Kopf-Investitionen in die Eisenbahninfrastruktur in Deutschland im Jahr 2022 bei nur 114 Euro. Zum Vergleich: In der Schweiz waren es 450 Euro und in Österreich 319 Euro. Folge ist ein hoher Investitionsrückstau – bei Gleisen, Weichen, Brücken, Stellwerken und Bahnhöfen. Von der Überalterung ist besonders das hoch belastete Netz, unser Kernnetz, betroffen: Gerade auf diesem Teil aber wächst der Verkehr stark an.

80 Prozent der Qualität entscheiden sich auf dem Schienennetz

Die steigende Nachfrage in Verbindung mit überalterter Infrastruktur ist eine Kombination, die die Qualität abstürzen lässt. Für uns ist klar: Ein «Weiter so» kann es nicht geben! Wir brauchen eine nachhaltige Lösung – und die liegt in der Infrastruktur, denn 80 Prozent der Qualität im Eisenbahnsystem entscheiden sich auf dem Schienennetz.

Um sowohl Qualität und Zuverlässigkeit zu erhöhen als auch die Verkehrsverlagerung auf die umweltfreundliche Schiene zu ermöglichen, steuern wir um und gehen neue Wege, um die Infrastruktur zu modernisieren. Wir stehen vor dem grössten Sanierungs- und Modernisierungsprogramm in der Geschichte der Deutschen Bahn.

Künftig wird sich die zum 1. Januar 2024 neu gegründete Infrastrukturgesellschaft, die DB InfraGO AG, um die Weiterentwicklung der Infrastruktur kümmern. Schienennetz und Bahnhöfe werden aus einer Hand konsequent entlang der Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger, der Wirtschaft und des Klimas bewirtschaftet, weiterentwickelt und ausgebaut – für mehr Qualität, Stabilität und Kapazität und ganz im Sinne unserer Strategie der starken Schiene.

Das Hochleistungsnetz der Deutschen Bahn im Jahr 2030

Gemeinsam mit dem Bund wird die Deutsche Bahn die am höchsten belasteten Strecken bis 2030 zu einem Hochleistungsnetz transformieren. Dafür müssen rund 4’000 der insgesamt über 9’000 km des Kernnetzes generalsaniert werden. Das Netz ist nach der Sanierung nicht nur «wie neu», sondern leistungsfähiger und attraktiver. Störungsresistente Anlagen werden für eine zuverlässigere Infrastruktur sorgen und somit die Pünktlichkeit für unsere Kunden erhöhen. Optimale Ausrüstungs- und Layoutstandards wie Überleitverbindungen, vollwertiger Gleiswechselbetrieb und Digitalisierung der Zugsicherung werden mehr Zugaufkommen ermöglichen und somit die Leistungsfähigkeit der Infrastruktur erhöhen.

Bahnhöfe werden durch kapazitätssteigernde Massnahmen auf wachsende Reisendenzahlen vorbereitet und die Anforderungen unserer Kunden an eine zeitgemässe Ausstattung der Bahnhöfe umgesetzt. Das Erlebnis für Kundinnen und Kunden wird durch attraktive, saubere und barrierefreie Bahnhöfe sowie digitale Fahrgastinformationen verbessert. Alles in dem Bestreben, mehr Menschen und Güter auf die Schiene zu bringen, und mitzuhelfen, die nationalen und europäischen Klimaschutzziele zu erreichen.

Das neue Hochleistungsnetz zu schaffen, ist eine echte Herausforderung. Um diese zu bewältigen, gehen wir anders vor als bisher: Statt kleinteilig immer wieder zu bauen und zu modernisieren, wird über alle Gewerke hinweg einmal generalsaniert – von der Trasse bis zum Bahnhof. Wir werden mit mehrmonatigen Totalsperren arbeiten anstatt mit zahlreichen über die Jahre verteilten kürzeren Sperren. Danach werden auf der betroffenen Strecke für mehrere Jahre keine Baumassnahmen erforderlich sein.

Übersicht Generalsanierung des Hochleistungsnetzes der Deutschen Bahn 2024 – 2030. © Deutsche Bahn AG

Verbesserte Pünktlichkeit, mehr Komfort und ein grösseres Angebot

Die hochbelasteten Korridore werden nacheinander saniert. Das Hochleistungsnetz entsteht von 2024 bis 2030 durch die Realisierung von 40 Hochleistungskorridoren. Die sogenannte Riedbahn zwischen Frankfurt (Main) und Mannheim macht im zweiten Halbjahr 2024 den Anfang. Die rund 70 Kilometer lange Strecke zählt zu den meistbefahrenen in Deutschland. Täglich verkehren dort bis zu 300 Züge des Fern-, Nah- und Güterverkehrs. Verspätungen, die hier entstehen, wirken sich auf das gesamte deutsche Schienennetz aus. Dasselbe gilt aber auch für Verbesserungen, die einen positiven Effekt auf die Pünktlichkeit in ganz Deutschland haben werden.

Im Jahr 2024 wollen wir auch bereits den Ausbau von bis zu 100 Bahnhören zu sogenannten Zukunftsbahnhöfen mit deutlich besserem Komfort und grösserem Angebot für die Reisenden in Angriff nehmen, davon 20 an der Riedbahn. Mindestens 50 dieser Bahnhöfe sollen in 2024 vollständig fertiggestellt werden. Bis 2030 wollen wir 1’800 Bahnhöfe, das heisst jeden dritten Bahnhof in Deutschland, zu einem Zukunftsbahnhof entwickeln. Wir erreichen damit über 50 Prozent der Reisenden deutschlandweit.

Vor der Generalsanierung eines Hochleistungskorridors werden das Verkehrskonzept entwickelt, Umleitungsstrecken ertüchtigt sowie die eigentliche Streckensanierung detailliert in Umfang und Layout geplant. Während der Vollsperrung des zukünftigen Hochleistungskorridors erfolgt eine konsequente Engpasssteuerung und Entstörung der Umleitungsstrecken. Für die Kundinnen und Kunden im Regionalverkehr wird ein Hochleistungsersatzverkehr eingerichtet.

Eine hochleistungsfähige Infrastruktur im Herzen Europas

Für die Korridorsperrung ist eine intensive Abstimmung mit allen Beteiligten von entscheidender Bedeutung. Hierzu organisiert die DB InfraGO AG in Deutschland einen breit angelegten Branchendialog. Sehr wichtig ist auch die Abstimmung im europäischen Umfeld. Denn die Strecken des Hochleistungsnetzes überdecken sich zu einem hohen Teil mit zentralen Abschnitten sechs europäischer Verkehrskorridore. Das Hochleistungsnetz wird daher seit rund einem Jahr mit den benachbarten Infrastrukturbetreibern bilateral auf Managementebene besprochen. Innerhalb des europäischen Eisenbahnverbandes CER erfolgt die Information über die Leitungsgremien und eine speziell eingerichtete Task Force der Infrastrukturbetreiber. Hier ist auch die SBB, beziehungsweise die SBB Infrastruktur eingebunden.

Ein weiterer zentraler Punkt, den wir im Blick behalten, sind die knappen Kapazitäten in der Bauwirtschaft. Um Umfang und Geschwindigkeit des Sanierungs- und Modernisierungsprogramms abzusichern, müssen wir alle Ressourcen – insbesondere Fachkräfte – aufbauen. Gleichzeitig müssen wir die Effizienz erhöhen und neue Formen in der Vergabe und Zusammenarbeit mit der Bauindustrie finden. Dafür haben wir konkrete Lösungsansätze – zum Beispiel eine stärkere Bündelung über Gewerke und Jahre, Partnerschaftsmodelle und eine höhere Wertschöpfungstiefe bei der Vergabe durch Planungsleistungen auch bei Bauunternehmen.

Kurzum: Die Herausforderungen bei der Schaffung des Hochleistungsnetzes sind gross. Alle Beteiligten werden in den nächsten Jahren ein Stück weit die Zähne zusammenbeissen müssen. Das Ziel lohnt die Anstrengungen aber allemal: eine hochleistungsfähige Infrastruktur im Herzen Europas Schritt für Schritt bis 2030.


Dr. Richard Lutz, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bahn AG. © Deutsche Bahn AG

Dr. Richard Lutz ist seit dem 22. März 2017 Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bahn AG. Er wurde am 6. Mai 1964 als Sohn einer Eisenbahnerfamilie geboren. Nach dem Studium der Betriebswirtschaftslehre arbeitete er zunächst als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre an der Universität Kaiserslautern, wo er 1998 promovierte. Seit 1994 ist Richard Lutz bei der Deutschen Bahn AG tätig. In den folgenden Jahren übte er verschiedene führende Positionen sowie strategische Projektleitungen im Vorstandsressort Finanzen / Controlling aus. 2003 folgte die Leitung des Bereichs Konzerncontrolling. Im April 2010 wurde Richard Lutz zum Vorstand Finanzen und Controlling berufen. Diese Position verantwortete er bis Ende 2018. Richard Lutz ist seit März 2017 Vorsitzender des Vorstands der DB AG. Gemeinsam mit seinem Vorstandsteam treibt er die konzernweite Umsetzung der DB-Dachstrategie «Starke Schiene» voran. Das Ziel: Die Deutsche Bahn robuster, schlagkräftiger und moderner zu machen, um eine massive Verkehrsverlagerung auf die klimafreundliche Schiene zu ermöglichen. Damit leistet die Bahn nicht nur einen wichtigen Beitrag für das Erreichen der Klimaziele, sondern auch für die Mobilität der Menschen, die logistische Versorgung der Wirtschaft und das Zusammenwachsen von Europa.