Roberta Cattaneo leitet seit 2018 für die SBB die Region Süd. Die gebürtige Bündnerin aus dem Calancatal hat ihre Leidenschaft für die Eisenbahn von ihrem Vater Angelo geerbt, der ebenfalls für die SBB gearbeitet hat. Im Laufe ihrer Karriere hat Roberta Cattaneo für Swisscom, die RSI und das BAKOM gearbeitet. Danach übernahm sie bei der SBB die Leitung der Region Süd und ist in dieser Funktion Mitglied des Verwaltungsrats der TILO AG.
SBB Region Süd: Der neue Fahrplan 2021 wurde auch im Tessin nun vollständig eingeführt, ein für die Weiterentwicklung des öffentlichen Verkehrs sehr wichtiges Ereignis. Der Fahrplan bringt eine echte Revolution im Regionalverkehr und führt die wichtigsten kantonalen Knotenpunkte näher zusammen. Mit der Fertigstellung des Ceneri-Basistunnels und der NEAT profitiert auch der nationale und internationale Fernverkehr von kürzeren Fahrzeiten und einem höheren Takt von Nord nach Süd und umgekehrt.
Wie erlebt die SBB diesen Fahrplanwechsel, auch mit Blick auf die Pandemie?
Roberta Cattaneo: Die Fahrplanumstellung verlief effizient und nach Plan. Trotz Pandemie war die SBB in der Lage, ein qualitativ hochwertiges Angebot mit hohen Pünktlichkeitsstandards zu gewährleisten. Natürlich kann man nicht verschweigen, dass die Zahl der Passagiere im Jahr 2020 stark zurückgegangen ist. Bisher ist auch im 2021 keine Besserung in Sicht. Dennoch: Die Motivation der Mitarbeiter ist hoch – es werden grosse Anstrenungen unternommen, einen effizienten öffentlichen Verkehrsdienst zu gewährleisten.
Die Einführung des Fahrplans im Tessin erfolgte in zwei Phasen, in einer ersten Phase am 13. Dezember 2020 mit der Umsetzung eines Zwischenfahrplans und in einer zweiten Phase am 5. April 2021, als der definitive Fahrplan in Kraft trat.
Wie liefen diese beiden Phasen? Gab es irgendwelche besonderen Probleme?
Den Zwischenfahrplan ab 13. Dezember 2020 konnten wir reibungslos einführen, unter Einhaltung der Fristen, die mit den Bestellern vereinbart waren. Ein erster Meilenstein für die öV-Zukunft im Tessin. Die Inbetriebnahme des Ceneri-Basistunnels war technisch alles andere als trivial, eine grosse Herausforderung, damit die Züge schliesslich pünktlich verkehren können. Nicht zu unterschätzen ist das Zusammenspiel zwischen den Zügen und dem eingebauten Sicherheitssystem, das einwandfrei funktionieren muss. Reibungslos verlief dann auch die Einführung des definitiven Fahrplans am 5. April. 2021 Bisher sind wir sehr zufrieden, wie der Betrieb läuft. Die neue S-Bahn Ticino ist ein bedeutender Schritt, um die Schweiz besser zu vernetzen.
Was hat sich mit dem definitiven Fahrplan ab 5. April 2021 im Tessin nun noch verändert?
Mit der Fertigstellung des Ceneri-Basistunnels (13.12.2020) und der Baustelle auf dem Abschnitt Contone-Tenero (22.03.2021) sind die Verbindungen zwischen den Hauptzentren des Kantons nun deutlich schneller und häufiger. Die Fahrt von Lugano nach Locarno dauert etwa 30 Minuten. Von Bellinzona nach Lugano dauert sie 15 Minuten und von Locarno nach Bellinzona 25 Minuten. Dies ist ein erheblicher Zeitgewinn und ermöglicht es dem Tessin, über ein innovatives regionales öffentliches öV-System zu verfügen. Die wichtigsten Neuerungen ab dem 5. April sind:
- TILO RE80: Vollständige Inbetriebnahme der Neubaustrecke Locarno - Lugano - Chiasso - Milano Centrale über den Ceneri-Basistunnel.
- TILO-Linie S10/S50: Anbindung über den Ceneri-Basistunnel
- TILO-Linie S20: Fährt von Castione-Arbedo nach Locarno
- Einführung der neuen TILO S90-Linie
- Die Inbetriebnahme der Direktverbindung über die Gotthard-Panoramastrecke Locarno-Zürich/Basel, in Zusammenarbeit mit der Schweizerischen Südostbahn (SOB), die im Zwischenfahrplan in Bellinzona endete.
- Die Haltestellen Riazzino und Gordola werden im Rahmen des Doppelspurausbaus zwischen Contone und Tenero weiter ausgebaut und erneuert.
Wie ist das neue regionale Angebot insgesamt bei den Kunden angekommen?
Das Angebot wurde von der Bevölkerung sehr positiv aufgenommen. Wir haben viel positives Feedback von unseren Kunden erhalten, die von den schnellen Verbindungen zwischen den drei Hauptzentren im Kanton sehr beeindruckt waren. Nicht nur das Bahnangebot, sondern das gesamte öV-Angebot, also auch der Busverkehr, wurde im Kanton Tessin massiv ausgebaut. Der Verkehr aus den wichtigsten Ballungsräumen (Lugano, Locarno und Bellinzona) profitiert nun von einem innovativen und flexiblen Expressnetz. Wir haben nun viel bessere Umsteigebeziehungen, eine wichtige Innovation, von der das ganze Land profitiert.
Ist das aktuelle Angebot von der Pandemie betroffen?
Im letzten Jahr wurde aufgrund der Corona-Massnahmen nicht nur das Bahnangebot eingeschränkt, auch die Arbeiten auf den Baustellen mussten eingestellt werden. Die Baustelle für den Doppelspurausbau zwischen Contone – Locarno musste für etwa einen Monat ruhen. Dies hat zu einer Verzögerung der Arbeiten geführt. Deshalb konnte der neue Fahrplan nicht im Dezember 2020 vollständig eingeführt werden. Seit dem 22. März 2021 sind die beiden Gleise nun in Betrieb und die RE80-Züge verkehren im Halbstundentakt zwischen Locarno, Lugano und Chiasso mit einer stündlichen Verlängerung Richtung Mailand.
Die aktuelle Pandemie-Lage hat zu einem Rückgang der Nachfrage geführt. Und das, obwohl der neue Fahrplan für das Tessin eine echte Revolution darstellt.
Welche Erwartungen hat die SBB für die Zukunft? Wird die Nachfrage durch die Fahrplanumstellung steigen?
Die SBB blickt zuversichtlich in die Zukunft und ist überzeugt, dass die Kunden nach der Pandemie wieder fleissig den öffentlichen Verkehr - vom regionalen und nationalen Bahnverkehr, bis zum internationalen Fernverkehr - nutzen werden. Klar, die Pandemie hat auch tiefgreifende Auswirkungen auf die Lebensgewohnheiten der Schweizer Bevölkerung hat. Je wichtiger Homeoffice wird, umso weniger Leute pendeln zur Arbeit. Aber vielleicht sind sie dafür in der Freizeit mehr unterwegs. Für den Kanton Tessin wird das neue Bahnangebot zweifellos zu einem Anstieg der Kunden führen, insbesondere zwischen den Zentren Bellinzona, Locarno und Lugano.
Wie wichtig war für die Umsetzung des neuen Fahrplanus die Beziehung zu den Gemeinden, dem Kanton und weiteren Stakeholder im öV-System?
Unverzichtbar, wenn Sie ein innovatives und flexibles Netzwerk aufbauen wollen. Der Schlüssel, um grosse Projekte voranzubringen, die der Bevölkerung langfristig einen grossen Nutzen bringen, liegt in der Zusammenarbeit. Die NEAT ist ein Jahrhundertprojekt, das nun mit der Eröffnung des CBT seinen Abschluss gefunden hat und bahnbrechende Neuerungen für den Schienengüter- und Schienenpersonenverkehr bringt. Eine echte Revolution im öffentlichen Verkehr.
Warum haben Sie angesichts des starken Nachfragerückgangs das Angebot nicht wie im ersten Lockdown reduziert?
Eine Reduktion des Angebots bedeutet einen enormen Aufwand und führt unterm Strich nicht zu grossen Einsparungen. Deshalb haben wir in der zweiten Welle darauf verzichtet. Wir haben verschiedene Szenarien durchgespielt und die finanziellen Auswirkungen abgeschätzt. Und es ist kein Geheimnis: Auch in Ausnahmesituationen muss die öffentliche Grundversorgung gewährleistet sein.