18. 01. 2019
Ein halbes Jahrhundert historische Eisenbahn im Zürcher Oberland
18|01|19|litra. In der Schweiz gibt es zahlreiche Museumsbahnen. Im Folgenden stellt sich mit dem Dampfbahn-Verein Zürcher Oberland eine der grösseren und aktiveren dar, der seit über 40 Jahren touristische Dampf- und Elektrozüge zwischen Hinwil und Bauma anbietet. Als Eisenbahn mit Personenverkehrskonzession ist das ein fahrplanmässiger Verkehr. Damit unterhält er ein wichtiges Kulturgut und macht es der breiten Öffentlichkeit zugänglich.
Ende 1968 schied die letzte Dampflokomotive aus dem aktiven Bestand der SBB aus. Für viele Leute, seien sie der Eisenbahn mit engeren oder mit lockereren Bindungen zugetan, war dies ein spürbarer Verlust der Alltagskultur. Verständlich, kommen doch bei der Dampfmaschine Kraft, Leistung und Wirkung viel eingängiger zur Darstellung als bei anderen Vorrichtungen der Energie-Umwandlung. Mit ihrem Stampfen, Atmen, Schwitzen und mit dem sinusförmigen Auf und Ab der Stangen hat sie etwas gleichzeitig Beruhigendes wie Lebendiges – viele sind unmittelbar fasziniert. Sie ist aber ausgesprochen ineffizient: Der mindestens doppelte Betriebsaufwand und der rund sechs Mal kleinere Wirkungsgrad als eine Diesellok oder noch mehr bei einer Elektrolok machen sie zum Albtraum jedes Ökonomen. Die Schweizer Mentalität mit ihrer hohen Wertschätzung von Vereinsarbeit löst diesen Zielkonflikt: freiwillig aktive, ehrenamtlich tätige Leute pflegen die alte Technik weiter und machen sie zu speziellen Gelegenheiten für die interessierte Öffentlichkeit im doppelten Sinn des Wortes erfahrbar, während der Fortschritt der Zeit ungestört seinen Lauf nehmen kann.
Die Idee eines jungen Dampflokfans
So entstanden Ende der 1960er-Jahre die ersten Museums- und Dampfbahnvereine in verschiedenen Landesgegenden. 1968 träumte ein 15-jähriger Zürcher davon, seinem Hobby als Dampflokheizer nicht nur in den Sommerferien beim soeben eröffneten Chemin de fer-Musée Blonay-Chamby nachzugehen, sondern näher am Zuhause eine eigene Dampflok zu betreiben. Pädagogischer, journalistischer und organisatorischer Support erfahrenerer Generationen halfen in der folgenden Zeit, den Dampfbahn-Verein Zürcher Oberland (DVZO) aus der Taufe zu heben und ihn auf den Gleisen der stillgelegten SBB-Linie Hinwil – Bauma heimisch zu machen. Der junge Verein wurde zunächst von den Bundesbahnen nicht sonderlich ernst genommen, immerhin war die SBB eine nationale Institution und hatte ganz allein die Macht, Kompetenz und Legitimität, auf ihren Schienen Betrieb zu machen. Doch nicht nur Schüler und Lehrer, Buchhalter und Mechaniker waren von der Idee angetan, sondern auch einflussreichere Leute sowohl bei lokalen Unternehmen wie bei der SBB. Die Patronage half, verschaffte Werkzeuge und gab Gelegenheit, sich zu beweisen. So musste nicht nur eine verlotterte Werkdampflok, ein Geschenk der Gebrüder Sulzer, von Grund auf revidiert werden – um Fahrgäste zu transportieren, brauchte es auch Wagen. Die SBB gab dem DVZO einen morschen Dienstwagen, vor Jahrzehnten von der verstaatlichten Gesellschaft Jura Neuchâtelois übernommen, zur Aufarbeitung zurück in einen Personenwagen des Ablieferungsjahrs 1886. Man sagte sich in der Verwaltung: «Wenn sie es schaffen, ist es gut. Wenn sie es nicht schaffen, ist es auch gut.» Der DVZO schaffte es und durfte ab 1978 seine eigenen Züge fahren lassen.
Die Sammlung wächst stetig
Seit jeher durchlief der Verein eine gemächliche, aber stetige Entwicklung. Aus der einen Dampflok, drei Personenwagen und einen Gepäckwagen der Anfangszeit wurden fünf Dampfloks, vier elektrische/thermische Rangiertriebfahrzeuge, sieben Personenwagen, zwei Buffetwagen, fünf Salonwagen, vier Gepäckwagen und mehrere Dutzend Dienstwagen, die alle nach festgelegtem Turnus zu unterhalten sind. Dazu dienen die Werkstätten in Bauma und Uster, wo die älteste Kreissegment-Lokremise der Schweiz wieder ihren ursprünglichen Zweck erfüllt. In Bauma schützt eine 1860 erbaute, zwei Mal transferierte Abfahrtshalle des früheren Basler Centralbahnhofs die durchwegs aus der Zeit der vorletzten Jahrhundertwende stammende Wagensammlung vor der Unbill der Witterung. Freier Netzzugang auch für historische Züge löste die Abhängigkeit von der Gnade der SBB-Kreisdirektion III ab. Die Stammstrecke Hinwil – Bauma mit ihren anspruchsvollen Kunstbauten im voralpinen Gebiet steht zur Hälfte im Eigentum des DVZO, und der Bestand der Aktiven und Gönner hat sich je verzehnfacht.
Begeisterung bei Jung und Alt
Ende Januar nun feiert der DVZO sein 50-jähriges Jubiläum. Der Vorstand hat Grund zur Zuversicht: Der Verein hat sich erfolgreich als Aktor des lokalen Tourismus etabliert und will diese Rolle noch stäker wahrnehmen. Die eigene Hausstrecke, auf die der öffentliche Nahverkehr kaum zurückkehren wird, ist Garant der nostalgischen Fahrten auch in kommenden Zeitaltern von Führerstandsignalisierung und automatischem Bahnbetrieb. Durch seine Vielzahl von Aktivitäten ist der Verein attraktiv für Junge wie für Pensionierte. Er tradiert nicht nur Dampflokomotiven, sondern auch Geräusche, Gerüche, die Verwendung von Gegenständen und bahnspezifischen Berufe alter Zeiten in die Zukunft, und er ist inspirierendes Vorbild für ähnliche Organisationen. Über 10'000 Gäste lassen sich jährlich faszinieren, davon gut die Hälfte Kinder und auch viele ausgesprochen öV-nichtaffine Erwachsene, die hier (wieder) einmal Kontakt mit der Bahnwelt haben, sei es als freiwillig Anwesende an den öffentlichen Fahrten, oder als Angehörige bei den Charterfahrten für Hochzeiten, Firmenausflügen und Geburtstagen. Anspruchsvoll sind die überproportional wachsenden administrativen und normativen Anforderungen, derentwegen man sich gemeinhin nicht in einem Verein zu engagieren pflegt.
Die Pläne des DVZO
Das nächste grosse Projekt des DVZO heisst «Depot 2020» und soll den Standort Bauma nachhaltig stärken. Geplant ist ein Ausbau des heute teilweise brach liegenden Depot-Areals, indem weitere typische Bauten und Nutzrequisiten in einen pragmatischen Zusammenhang gebracht werden und zur Erhaltung des lebendigen Schweizer Bahnkultur-Erbes beitragen. Lebendig deshalb, weil sie nicht tot herumstehen, sondern vor aller Augen verwendet werden und damit zum Verständnis der Bahngeschichte beitragen. Auf dass auch in der Gegenwart die alte Eisenbahn erfahrbar ist und wir auf dem Heimweg mit der modernen S-Bahn die jeweiligen Epochen mit ihren je eigenen Sonnen- und Schattenseiten vergleichen können.
Hinweis Die Dampfbahn kann am Wochenende vom 26. und 27. Januar anlässlich des Jubiläums ausnahmsweise im Winter erlebt werden. Sonst verkehren die Züge wieder am 1. und 3. Sonntag von Mai bis Oktober. Weitere Informationen unter www.dvzo.ch
Christian Schlatter ist ausgebildeter Bauingenieur, Leiter Infrastruktur und Mitglied des Vorstands des DVZO. Hauptberuflich amtet er als Geschäftsführer des Kompetenzzentrums Fahrbahn. Beide Organisationen sind seit letztem Jahr Mitglied der LITRA.
Jürg Hauswirth ist ausgebildeter Verkehrsingenieur, Leiter Betrieb und Mitglied des Vorstands des DVZO. Hauptberuflich amtet er als Projektleiter Sicherungsanlagen bei der Schweizerischen Südostbahn.