17. 05. 2018
17. 05. 2018
Blog: Warum 93% aller Züge der SBB pünktlich sind
Das Schweizer Eisenbahnnetz ist das meistbefahrene der Welt. Trotzdem weist die SBB europaweit die höchsten Pünktlichkeitswerte auf: 2017 waren 93.1% aller Züge pünktlich. Wie schafft es die SBB, trotz der rekordhohen Auslastung, eine so hohe Pünktlichkeit zu erreichen? Anlässlich eines Besuchs unseres externen Autors Marc Vetterli in der Betriebsleitzentrale Mitte der SBB zeigte sich eindrücklich, wie das Bahnnetz vom Fahrplan bis zur Steuerung perfektioniert wurde, wo die Risiken liegen und welche Herausforderungen noch anstehen.
Die Pünktlichkeit ist abgesehen von der Sicherheit das zentrale Qualitätsmerkmal im öffentlichen Verkehr. Von der Verfügbarkeit des Rollmaterials und der Anlagen bis hin zum Fahrplan haben eine Vielzahl von Faktoren einen Einfluss auf die Pünktlichkeit. Die Stabilität des Gesamtsystems wird dabei massgeblich durch die Zugzahl, die Durchschnittsgeschwindigkeit und die Heterogenität der Züge beeinflusst. Der Fahrplan ist daher die Grundlage für ein stabiles System. Die SBB hat deshalb gemäss Daniel Pallecchi, Pressesprecher der SBB, nebst Massnahmen bei Infrastruktur und Rollmaterial den Fahrplan laufend optimiert und punktuell die Halte- und Fahrzeiten angepasst.
Foto: Zugverkehrsleiter in der BZ Olten, Quelle: Lüthy, Patrick (2016)
Stabilität als zentrales Kriterium
Für den Fahrplan im Rahmen des Ausbauschritts 2030/35 plant die SBB zudem, die Geschwindigkeiten aller Züge zu homogenisieren und das Angebot zu systematisieren. Da die Stabilität von der Heterogenität der Züge und deren Durchschnittsgeschwindigkeit abhängt, will die SBB die Geschwindigkeiten angleichen. S-Bahn-Züge nutzen die maximale Streckengeschwindigkeit bereits aus und Güterzüge können kaum schneller fahren. Es resultiert der Schritt, dass die Geschwindigkeit der Schnellzüge punktuell reduziert wird – allerdings ohne dass die Anschlüsse in den Knotenbahnhöfen beeinträchtigt werden. Damit lässt sich die Kapazität beispielsweise im Heitersbergtunnel um bis zu 40% erhöhen und die Stabilität nimmt weiter zu.
Grafik: Beim Heitersbergtunnel lässt sich die Kapazität dank der konsequenten Systematisierung von heute 14 auf 20 Trassen pro Stunde und Richtung erhöhen, Quelle: SBB (2017)
Die Perfektionierung auf der Ebene der Steuerung
Da aber kein perfektes System existiert und Störungen auch in einem optimierten Gesamtsystem nach wie vor zum Alltag gehören, versucht die SBB, auch auf der Ebene der Zugsteuerung Lösungen zu entwickeln. Störungen können immer auftreten, so dass die Zugsteuerung ein zentraler Faktor bei der Pünktlichkeit ist.
Die SBB hat zwei Systeme entwickelt, welche die Stabilität und Pünktlichkeit weiter verbessern. Mit RCS-HOT (Rail Control System - Hub Optimization Technology) hat die SBB ein hochkomplexes Programm entwickelt, welches in besonders belasteten Bereichen des Netzes, insbesondere an Knoten, eingesetzt wird. Es berechnet laufend für jeden einzelnen Zug das optimale Fahrprofil und optimiert die Zugabfolge und die Fahrwege. Dazu werden für jede Problemstellung (z.B. verspäteter Zug) zehntausende Möglichkeiten berechnet, wie der aktuelle Verkehr optimiert werden könnte. Anschliessend wählt das Programm automatisch die beste Lösung aus. So wird dann beispielsweise ein Zug auf ein anderes Gleis umgeleitet, damit er von einem beschleunigten Zug überholt werden kann. Im Knoten Zürich können so pro Monat 1.2 Mio. Reisendenverspätungsminuten vermieden werden.
Grafik: Beispiel für Optimierung mit RCS-HOT, Quelle: SBB Infrastruktur Verkauf (2018)
Parallel dazu läuft auf dem gesamten Netz der SBB RCS-ADL, die sogenannte «Adaptive Lenkung». Das Grundproblem der Eisenbahnsteuerung liegt darin, dass mit wenigen Ausnahmen (z.B. NEAT) nach wie vor konventionelle Signale mit fixen Blockeinteilungen vorhanden sind. Dies reduziert die Kapazität und die Pünktlichkeit. Durch die fixen Blöcke sind die einzelnen Streckenabschnitte viel länger belegt, als dies für den Bremsweg effektiv nötig wäre. Die SBB versucht diesem Problem zwar mit einer Verkürzung der Signalabstände entgegenzuwirken, das Grundproblem bleibt jedoch bestehen. Zudem verkehren die Züge nicht in einem regelmässigen Abstand, sondern unregelmässig anhand von den Blockeinteilungen. Dadurch fährt beispielsweise ein Schnellzug auf die vorausfahrende S-Bahn bis zum Sicherheitsabstand auf und muss komplett anhalten, was Verspätungen verursacht. Mit RCS-ADL wird nun dem Schnellzug die optimale Geschwindigkeit berechnet, so dass er der S-Bahn konstant folgen kann, anstatt vor jedem Bahnhof anhalten zu müssen. So verkehren die Züge konstanter, pünktlicher und sparen dabei auch noch Unmengen an Energie.
Strategie birgt Risiken
Die Optimierung auf Fahrplan- und Steuerungsebene bringt jedoch nicht zu vernachlässigende Risiken mit sich. Je dichter das Netz befahren ist und je mehr das System auf Steuerungsebene optimiert wird, desto grösser wird auch das Risiko von Störungsübertragungen. Bei kleinen Störungen kann der entsprechende Zug isoliert werden, so dass das System stabil bleibt. Was passiert jedoch, wenn an einem neuralgischen Knotenpunkt eine Anlagenstörung auftritt? Mit der dichten Zugfolge und trotz der perfektionierten Steuerung bestehen wenig Möglichkeiten, die Auswirkungen der Störung schnell einzugrenzen. Eine einfache Lösung für dieses Problem gibt es nicht, denn eine optimale Netznutzung ist zu begrüssen, da so weniger Infrastrukturausbauten nötig sind. Die SBB hat mit innovativen Lösungen gezeigt, dass auch das bestehende Netz noch besser genutzt werden kann. Wie stark die Infrastrukturnutzung aber weiter intensiviert werden kann, wird die Zukunft zeigen.
Literaturverzeichnis
Eichenberger, Rudolf; Lüthy, Patrick (2016): Ich sehe eine SBB, die... «1-fach», persönlich, vernetzt: CEO Andreas Meyer über die Kraft von Vision und Strategie. In: Unterwegs, 18.03.2016. Online verfügbar unter https://dima.sbb.ch/unterwegs/artikel/2779/ich-sehe-eine-sbb-die.
SBB (2004): Geschäftsbericht 2004. Hg. v. SBB.
SBB (2016): Geschäftsbericht 2016. Hg. v. SBB.
Vetterli, Marc (09.03.2018): Pünktlichkeit SBB. Interview mit Daniele Pallecchi. Rapperswil.
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